Interview mit Cat Spangehl, unsere Tacco im Atlantik
- regula52
- vor 5 Tagen
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1. Cat, magst du dich kurz vorstellen? Welches ist deine Rolle im Atlantik-Projektteam?
Ich bin Cat und arbeite normalerweise als Kapitänin und Einsatzleiterin auf Seenotrettungsschiffen im Mittelmeer. Im Atlantik bin ich als taktische Koordinatorin tätig, also für die Einsatzleitung in der Luft verantwortlich. Ich definiere anhand verschiedener Informationen die Suchgebiete, erstelle Suchmuster und koordiniere gemeinsam mit dem Bodenteam Rettungsmassnahmen, sobald wir ein Boot entdecken. An Land leite ich ausserdem das Rechercheteam und bin Ansprechperson für NGOs und andere Akteure.

2. Du bist häufig im Zentralen Mittelmeer im Einsatz, jetzt neu
auch im Atlantik: Worin unterscheiden sich die Luftüberwachung und die Einsätze aus deiner Sicht am stärksten?
Vor allem die enorme Grösse des Einsatzgebietes: Von Libyen nach Lampedusa sind es rund 140 Seemeilen, im Atlantik können die Distanzen bis zu 1’300 Seemeilen betragen. Unsere Flugzeuge haben eine begrenzte Reichweite, deshalb müssen wir hier viel präzisere Prognosen treffen, wo eine Suche überhaupt sinnvoll ist. Die grossen Distanzen verstärken auch die Gefahren für die Menschen massiv – schlechtes Wetter, Navigationsfehler, Maschinenschäden oder Wassermangel können schnell tödlich enden.
Ein weiterer Unterschied ist die fehlende Rettungsinfrastruktur. Im Mittelmeer gibt es zivile Rettungsschiffe und die italienische Küstenwache. Im Atlantik hingegen müssen wir oft Frachtschiffe, Fischer oder Segelnde um Hilfe bitten , die dafür weder ausgebildet noch ausgerüstet sind.
"Einige Bericht sind so erschütternd, dass ich nachts davon Alpträume bekomme"
3. Gab es eine Situation, die dir naheging oder die besonders deutlich zeigt, warum unsere Präsenz aus der Luft einen Unterschied macht?
Aus der Luft ist man physisch distanziert, aber die Geschichten aus der Recherche treffen mich sehr. Die Überfahrt aus Senegal oder Gambia dauert mindestens neun Tage, oft länger. 100–300 Menschen sitzen auf engstem Raum in offenen Holzbooten, ohne ausreichend Wasser, Nahrung oder Schutz. Keine Toiletten, kein Schatten, hohe Wellen. Wenn ich an die Menschen denke, die wir im Mittelmeer nach nur drei Tagen bergen – dehydriert, unterkühlt, bewusstlos, mit chemischen Verbrennungen – kann ich mir kaum vorstellen, wie jemand zehn Tage auf dem Atlantik übersteht. Viele sterben während der Überfahrt, selbst wenn das Boot ankommt: Sie verdursten, unterkühlen, trinken Meerwasser oder verlieren jede Hoffnung. Einige Berichte sind so erschütternd, dass ich nachts davon Alpträume bekomme.

4. Wie wurde HPI von anderen Akteur:innen in der Region aufgenommen?
Gut und kollegial. Mit Alarm Phone arbeiten wir, wie im Mittelmeer, eng zusammen. Im Atlantik kommt eine gute Kooperation mit UNHCR und IOM hinzu. Auch die Zusammenarbeit mit Berufsschiffen und Segelnden war sehr positiv. Auf unsere Funksprüche erhielten wir viele Rückmeldungen von Schiffen, die aktiv mitgesucht haben. In Seenotfällen haben mehrere Schiffe ihre Route geändert, Boote beobachtet und uns wertvolle Lagebilder geliefert, sodass wir schneller reagieren konnten.
5. Wie geht es nun mit dem Atlantik-Projekt weiter? Wir planen, Anfang nächstes Jahr wieder von den Kanaren aus zu fliegen. Parallel bauen wir das Rechercheteam weiter aus und entwickeln ein organisationsübergreifendes Archiv, um Bewegungen auf der Atlantikroute systematisch zu erfassen. Bisher macht das niemand, obwohl die Daten essenziell sind.
"Unsere derzeitigen Mittel reichen nur noch für wenige Missionen."
7. Wofür braucht es jetzt am dringendsten Unterstützung?
Die Zahl der Überfahrten steigt stark, und damit auch die Zahl der vermissten Boote. Jeder Flug kann einen entscheidenden Unterschied machen - aber unsere derzeitigen Mittel reichen nur noch für wenige Missionen. Wir sind daher dringend auf Spenden angewiesen. Jeder Beitrag hilft uns, länger in der Luft zu bleiben und nach Booten in Seenot zu suchen.



















